Erschienen auf www.artandevents.mediaquell.com, 2009
Die am Freitag startende Ausstellung in der Galerie Nierendorf zeigt einen Querschnitt des Gesamtwerkes des bekannten deutschen Künstlers Otto Mueller (1874-1930). Seit 1920 vertritt die renommierte Galerie im Westen Berlins den Einzelgänger unter den Brücke-Künstlern (zu sehen vom 24. April – 9. Oktober 2009).
Das erste Mal zeigte die Galerie Nierendorf 1927 Farblithografien des Künstlers, nur einige Blätter aus der Zigeuner-Serie. Seit dem Neubeginn der Galerie 1955 ist das Werk Otto Muellers ein zentrales Anliegen der Tätigkeiten des Galeristen Florian Karsch. Als leidenschaftlicher Sammler der Grafik publizierte er 1974 das grafische Gesamtwerk des Künstlers als Ausstellungskatalog zu Muellers 100. Geburtstag, ein wichtiges Nachschlagewerk zu Otto Muellers Schaffen. Seit 1957 gab es sieben Einzelausstellung des Künstlers in der Galerie Nierendorf. Dies ist nun die 8. „Ausgabe“.
Der Stil
Florian Karsch kennt Otto Muellers Werke seit vielen Jahren und weiß den unverwechselbaren „Stil“ des expressionistischen Künstlers einzuordnen. Er schreibt in seiner zur Ausstellung veröffentlichten Broschüre: „Expressionismus war eigentlich kein Stil, sondern ein Lebensgefühl der Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Befreiung von akademischen und gesellschaftlichen Zwängen. Ein Teil der Künstler neigte sich dem Geistigen, Nichtsinnlichen zu und räumte dem Wirklichen, dem Gegenständlichen immer weniger Platz in ihren Werken ein bis zur Ungegenständlichkeit. Der andere Teil der Expressionisten betonte das Sinnliche, das Gegenwärtige, den Rausch aus dem Innersten der Seele. Das manifestierte sich z.B. im Überquellen von Farben und Formen. Es war das Ergreifen des Wirklichen mit allen Fasern des Körpers und der Sinne. Viele Abstufungen zwischen diesen beiden Extremen in dem vom Künstler gefundenen und für seinen Ausdruck als adäquat realisierten „Stil“ können also als „expressionistisch“ akzeptiert werden. Dies nur wenn der betreffende Künstler aus seinem Innersten heraus, unabhängig und „unverfälscht“ seinen Gefühlen Ausdruck und Form verlieh. Genau in diesem Sinne ist Otto Mueller ein ganz konsequenter Expressionist, mehr als viele, die oft nur zeitweilig und „stilistisch“ beim Expressionismus mitgemacht haben.“
Das Leben
Otto Mueller wurde 1874 in Liebau im Riesengebirge geboren. Dem traditionellen Lernen im Gymnasium nicht besonders zugetan, war es eine Befreiung für ihn, 1890 eine Lehre als Lithograf in Görlitz beginnen zu können. Hier wurde sein künstlerisches Talent erkannt, so dass auch sein Vater einwilligte, ihn Kunst studieren zu lassen. 1894-96 besuchte er die Kunstakademie in Dresden, 1898 hielt er sich zu Studienzwecken in München auf. Er lernte in Dresden seine spätere Frau Maschka Meyerhofer kennen, die sein bevorzugtes Modell wurde. 1908 zog er nach Berlin, wo er im Rahmen der Ausstellung der Zurückgewiesenen der Secession und der darauf folgenden Gründung der Neuen Secession 1910, die Künstlergruppe „Brücke“ kennen lernte. Er trat der Gruppe bei und verbrachte den Sommer 1910 mit Ernst Ludwig Kirchner in Böhmen. Auch im folgenden Jahr waren Menschen in der Natur sein Hauptmotiv und er arbeitete gemeinsam mit Heckel und Kirchner an der Ostsee und an den Moritzburger Teichen bei Dresden, um das freie Badeleben zu beobachten, das in zahlreichen Werken Thema wurde.
Otto Mueller nahm an den beiden herausragenden „Brücke“-Ausstellungen dieser Zeit teil: 1910 an der in der Dresdner Galerie Arnold, 1912 in der Berliner Kunsthandlung Fritz Gurlitt. Gleichzeitig stellte er mit den Künstlern des „Blauen Reiters“ aus. Nach der Auflösung der Künstlergruppe „Brücke“ pflegte Mueller weiterhin Kontakt und Freundschaft mit den ehemaligen Gruppenmitgliedern Kirchner und Heckel. Nach dem Ersten Weltkrieg, den er als Soldat in Frankreich und später in Russland erlebte, wurde er 1919 als Professor an die Kunstakademie in Breslau berufen, wo er bis zu seinem Tod 1930 unterrichtete.
Der Einzelgänger
„Otto Mueller war ein Einzelgänger. Seine Kunst ist so individuell und unverwechselbar persönlich stilisiert, dass gelegentlich kritisch und aus Unverständnis geäußert wurde, sie sei eintönig und schematisch. Bei näherer Betrachtung und genauerem Studium des Werkes ist festzustellen: alle Variationen des Grundthemas weisen große Unterschiede auf. Bei aller Ähnlichkeit sind es differenzierte, genaue Kompositionen, von denen jede einzelne unverwechselbar ist. Mechanische Wiederholungen gibt es nicht. Mehrfache Veränderungen eines Grundthemas, einer Komposition sind immer reizvoll und ganz neu. Dies gilt sowohl für Variationen in gleicher Technik als auch beim Wechsel von der Lithografie zum Aquarell oder zum Gemälde. Otto Mueller war ein extremer Individualist (…)“, schreibt Florian Karsch.
Seltenheit des Werkes
Otto Mueller schuf in circa 20 Jahren Schaffenszeit weniger Werke als die meisten seiner Zeitgenossen. Die Seltenheit seines Werkes und die daraus resultierenden Verkaufspreise bewirkte eine stets zunehmende Flut von Fälschungen. „Es sei an dieser Stelle davor gewarnt, die vielfach angebotenen günstigen Gelegenheiten vorbehaltlos und ohne vorherige genaue Expertenprüfung wahrzunehmen“, warnt der erfahrene Galerist der Galerie Nierendorf.
In der aktuellen Ausstellung werden 56 Werke ausgestellt. Darunter Gemälde, Zeichnungen, Holzschnitte und Lithografien. Selbstbildnisse, Akte, Portraits, Badende sowie Waldlandschaften stammen aus den Jahren 1903 bis circa 1927. Die Verkaufspreise gehen ab 1500 € aufwärts. Einige Werke stechen durch ihre Eigenart besonders hervor, wie z.B. das Ölbild „Selbstbildnis mit Gitarre/Selbstbildnis als Zigeuner/Selbstbildnis als Halbzigeuner“ von 1903-1904 sowie die Lithografie „Der Mord 2 (Tanzszene II; Liebespaar III)“ um 1919.
Die Qualität der Arbeiten von Otto Mueller steigerte sich bis zu seinem Lebensende. Dies unterscheidet ihn von den meisten expressionistischen, aber auch von vielen anderen Künstlern; aus diesem Grund ist er in der Malerei des 20. Jahrhunderts eine Ausnahme. Otto Mueller war und bleibt ein besonderer Einzelgänger.
Katia Hermann