Erschienen auf www.artandevents.mediaquell.com, 2009
Der Bestseller von Charlotte Roches „Feuchtgebiete” erschien am 6. März in Frankreich. Die Rechte wurden an 27 Länder verkauft, nun darf Frankreich das Buch lesen. Hervorragend übersetzt von Claire de Oliveira („Avidité“ von Elfriede Jelinek; Preis Gérard de Nerval für literarische Übersetzungen 2004) erschien „Zones humides“ in einer Auflage von zunächst 27 000 Exemplaren.
Deutschland hat die Diskussion um „Feuchtgebiete” und den erstaunlichen Erfolg eines anrüchigen Romans überstanden. Nun steht Frankreich vor einer Debatte über „Hämorrhoiden und Körperflüssigkeiten“, über die Selbsterkundung der weiblichen Körperhöhlen und den Sinn von Intimrasuren, aber womöglich nur, wenn das Buch den gleichen Erfolg haben wird.
Der deutsch-französische Kultursender Arte versuchte am Abend zuvor, am 5. März mit der Doku „Feuchtgebiete erforschen” zu erkunden, wie unsere Nachbarn auf die Überschreitung der Ekelgrenzen reagieren werden und welche unterschiedlichen Wahrnehmungen die Deutschen und Franzosen haben, sei es auf gesellschaftlicher Ebene oder aus der Sicht der Frau.
„Die Franzosen sind viel schamhafter als die Deutschen”, konstatiert etwa Schriftsteller Frédéric Beigbeder, der sich auf die Seite der Autorin schlägt. „Sie bekämpft genau wie ich die Werbung.” Fernsehstar Harald Schmidt sagt, er nennt den Roman einen „Schlag in die Perfektionsmaschine einer Heidi Klum”.
Die Französinnen werden in der Heimat der großen Couturiers mehr als die Deutschen vom Druck der Modewerbung beeinflusst, in der kein überflüssiges Körperhaar und kein Pickelchen zu sehen sein darf. Und die Franzosen verhalten sich schamhafter, in den öffentlichen Duschen von Schwimmbädern, z.B. ziehen sie nicht den Badeanzug aus. „Zones humides” dürfte es schwerer haben, das Herz der Franzosen zu erobern. Denn während Deutschland das Gesicht von Charlotte Roche aus dem Fernsehen und den Medien schon kannte, ist sie in Frankreich unbekannt.
Roches Themen erschrecken die Franzosen nicht sonderlich. Als „pornografische“ Bücher mit gewagtem Inhalt sind „Lolita“ von Vladimir Nabokov und “Der Dieb“ von Jean Genet in Erinnerung. Anais Nins „Das Delta der Venus“, auch Gustave Flauberts „Madame Bovary“ sowie die Wendekreise von Henry Miller haben für literarische Sensationen, Verurteilungen und zum Teil für Verbote gesorgt. Charlotte Roche wird so schnell keine Französin und keinen Franzosen „moralisch“ erschüttern.
Das Buch wird in Frankreich von einer aufwendigen Werbekampagne begleitet. Das Cover zeigt hier ein verschwommenes Frauengesicht, gar sinnlicher als die deutsche Version mit Pflaster. Die französische Presse reagierte schon damals auf den unglaublichen Erfolg in Deutschland, nun berichten Tageszeitungen, aber vor allem Modezeitschriften über „Zones humides“.
Das berühmte „Elle-Magazin“ veröffentlichte am Tag der Herausgabe einen langen Artikel, indem Charlotte Roche als eine Autorin voller Humor und Talent gelobt wird. Aussagen wie: „Wäre ich nicht so verklemmt, hätte ich nie das Bedürfnis gehabt so einen Text zu schreiben“ und Erläuterungen zu ihrer Biografie bezeugen ein intimes Gespräch zwischen Elle-Journalistin und Autorin. Bei den vielen Lesern und vor allem Leserinnen der Zeitschrift, ist die Vorstellung der Bestseller-Autorin eine vorzügliche Werbelokomotive für das Buch.
Leider konnte die Autorin nicht zur geplanten Pressekonferenz am 12. März nach Paris kommen, wo wichtige Fernsehauftritte wie z.B. bei Canal+ geplant waren.
Wir werden einige Zeit abwarten müssen, um wirklich zu erfahren, wie die Franzosen auf „Zones humides“ reagieren, denn Mundpropaganda braucht seine Zeit. Doch der Geschmack der Franzosen für Skandale, Sex und People sowie ein gewisser teils trockener, teils anzüglicher Humor passt eigentlich sehr gut zu „Zones humides“.
Katia Hermann